Dienstag, 13. Januar 2015

Eine Ideologie ohne Idee gibt es nicht

Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo taucht häufiger die Behauptung auf, dass die Terroristen eine Religion gekapert hätten, um ihre terroristischen Akte zu vollführen. Damit vermeidet man jedoch die Möglichkeit, sich dem Problem solcher Terrorakte lösungsorientiert zu nähern. Das wäre so, also würde man behaupten, ein Terrorist sei Terrorist an sich, a priori, also von Natur aus, eben des Terrorismus oder des Mordens wegen und die Tatsache, dass es dabei gegen bestimmte Personen aus einem bestimmten Grund gerichtet ist, spielt dabei keine Rolle. Dann also hätte es jeden treffen können? Überall? Ist es zudem Willkür, welche Religion gekapert wird? Müssen wir in nächster Zeit ein Attentat von Menschen erwarten, die einfach nur andere umbringen wollen und sich dafür dann ein Etikett aussuchen, zum Beispiel Siddhartha hat es so gewollt?
Nein. Diese drei jungen Menschen und ihre Zuarbeiter wären vielleicht Kleinkriminelle geworden, vielleicht hätte der Rapper unter ihnen, wenn er denn erfolgreich gewesen wäre, es auch bis zu einer Art französischem Integrationsbambi geschafft, aber ohne eine dahinterstehende Ideologie hätten sie nicht gerade diese Menschen in dieser Form erschossen. Und das ist den Ideologen auch wichtig. Denn sie wollen eine bestimmte Idee transportieren. Sie wollen, dass die Menschen von dieser Idee erfahren und erkennen, wie mächtig sie ist. Eine Ideologie ist das, was Menschen aus einer Idee machen, selbstverständlich. Das bedeutet aber auch, dass sich die Idee von der Ideologie nicht trennen lässt. Sie ist ein Teil dessen, so wie die Tomate in der Tomatensuppe. Und es bleibt die Frage, ob es nicht nötig ist, bereits an der Idee etwas zu ändern.

Wenn ich einen Evangelikalen nach einem Jesus-Camp-Wochenende, in dem die Jesus-Krieger zum entschlossenen Kampf gegen die Sünde und den Unglauben aufgerufen werden, frage, was diese Ideen mit dem Christsein zu tun haben, würde er mir sicher antworten: alles! Und wenn ich ihn frage, ob er bereit wäre, für Jesus zu kämpfen und zu sterben, selbst wenn es deswegen zu einem offenen Kampf auf den Straßen kommen würde, dann würde er diese Frage sehr wahrscheinlich mit ja beantworten. Und das würde er nicht tun, weil er eine "terroristische Natur" hat oder aus einem Milieu kommt, das zu terroristischen Akten neigt. Wenn er eine kriminelle Natur hat oder gar eine pathologische Neigung zu töten, dann kapert er sich keine Religion, um seine Verbrechen damit zu tarnen. Er baut sich wohl eher seine eigene Ideologie zusammen, zum Beispiel die, derjenige zu sein, der nicht gesehen wird oder der sein eigenes Leid nur dadurch akzeptieren kann, in dem er es anderen in hundertfacher Härte zurückgibt. Natürlich sind dann auch solche Leute besonders geeignet, in einem Jesus-Camp ganz oben an die Spitze zu kommen, weil sie dort eine Chance haben, gesehen zu werden bzw. die Prügelstrafe weiter zu vererben. Aber in einem Jesus-Camp sind ja nicht nur solche Leute. Sondern vor allem die, die von einer Idee so überzeugt sind, dass sie dafür bereit sind zu töten. Das ist die Voraussetzung und genau dazu ist eine Ideologie in der Lage. Die Idee im Kopf ist es, der unbedingte Glaube an ihre Richtigkeit, Wahrheit und Segen für die Menschheit, wenn sie sich denn durchgesetzt hat, und die Vorstellung für diese Idee in der neuen Gesellschaftsordnung als Held gefeiert zu werden, was einen Menschen dazu bringt, sich über jegliche Menschenrechtskonventionen hinweg zu setzen.Vor allem, wenn sie eben auch aus der Ideologie heraus als falsch erachtet werden. Das hat man bei Anders Breivik gesehen und das hat man am 07.01. diesen Jahres in Paris gesehen. Je größer der Rückhalt durch eine Gemeinde Gleichdenkender ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, der Idee eben auch Taten folgen zu lassen. Für eine Ideologie zu töten ist etwas anderes als aus Neid , Eifersucht oder Habgier. Für das Letztere ist der Einzelne in Haftung zu nehmen, für das Erstere eine ganze Gemeinschaft. Und hat diese Gemeinschaft einen Staat, ist sie sogar im Recht.

Als sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zur Kirche und der Aufklärung ein Wiederauflammen gnostischer Ideen entwickelte, die zu verschiedenen Denkrichtungen wie der Theosophie, der Ariosophie und der Anthroposophie führten, konnte noch niemand ahnen, dass ein halbes Jahrhundert später eine Reihe Menschen von diesen Ideen so begeistert sind und sie für so wahr halten, dass sie eine 'Götterdämmerung' apokalyptischen Ausmaßes inszenieren, in dessen Folge ganze Völker und Glaubensrichtungen ausgelöscht wurden. Die Idee der Gnosis ist simpel: Es gibt einen Gott der Erleuchtung, des Geistes und des Lichtes und es gibt einen selbsternannten Gott der Materie und der Dunkelheit. Im Gegensatz zum Kanon der katholischen Lehre, der diese gnostischen Apokryphen bekannt waren, war  bei den Gnostikern der Gott des Lichtes der Lichtbringer (Luzifer) und der Gott der Materie der Schöpfergott Jahwe. Die Gnostiker wurden dafür über Jahrhunderte von der Kirche verfolgt. Jesus war bei den Gnostikern derjenige, der die Botschaft mitbrachte, dass alle das Licht der Erkenntnis in sich tragen, alle Kinder des Lichts und des reinen Geistes seien und dass der Mensch aber durch die Schöpfung der Materie in einem körperlichen Gefängnis festgehalten werde, aus dem er sich befreien müsse. Diejenigen, die von den Agenten des Schöpfergottes vereinahmt sind, können nur gerettet werden, wenn auch sie diesen Funken der Erkenntnis in ihrem Blut tragen. Umgekehrt durfte der Gereinigte, also dessen "Blutleuchte" kein dunkles Blut in sich trägt, um es mit dem Kosmiker Alfred Schuler auszudrücken, der diese Ideen zeitgleich mit den Theosophen und Anthroposophen entwickelte, sein Blut nicht mit denen vermischen, die durch den Schöpfergott verseucht wurden. Von diesen Ideen waren damals viele okkulte Gruppieren begeistert und überzeugt, genauso wie von jener, dass die engelsgleichen Lichtkrieger von der versunkenen Insel Atlantis abstammen und ihr Untergang daher rührt, dass sie sich mit den 'Dunkelmenschen' (Ausdruck des Ariosophen Lanz von Liebenfels) verbunden haben. In der Abgrenzung zur katholischen Kirche vor allem bei den Kosmikern um Schuler und George, aber auch bei den Theosophen, deren Begründerin Helena Petrova Blavatzky daraus die Wurzelrassentheorie entwickelte, den Ariosophen, die eine neue Herrenrasse züchten wollten und den Anthroposophen Steiners, die daraus eine esoterische Reformbewegung auf den Weg brachten, mischten sich auch eine Menge 'heidnischer' Ideen hinzu, so liebten die Kosmiker das Bacchusfest, und die okkulten Esoteriker ihre Germanengötter.
Aus diesen Ideen machten die geistigen Führer des Nationalsozialismus eine Ideologie. Und ihr Ziel war es, das erleuchtete Blut vom verseuchten in einer Endlösung zu reinigen, eine Reform des Menschen in die Wege zu leiten, ihn zu seinen Ursprüngen zurückzuführen, ins Paradies, ins Pleroma oder wie man diese dystopische Utopie noch nennen soll, ihn also wieder zum gottgleichen Engel zu machen und das am Besten mit wallendem blonden Haar an den Toren Walhallas. 
All diese Bewegungen gibt es übrigens noch heute - bis auf die Ariosophen wahrscheinlich.  Die Gnosis hatte ihren letzten Höhepunkt im New Age, als das Wassermannzeitalter ausgerufen wurde. Aber natürlich hatte das da schon nichts mehr mit Antisemitismus zu tun. Heutzutage nennt sich das 'Kampf gegen die zionistische Weltherrschaft' und endet im verschwörungstheoretischem Reichsbürgertum oder einem herbeigesehnten Neuwschabenland. Oder einfach nur im Reformhaus oder der Waldorfschule, wo man gemeinsam mit Kobolden seinen Namen tanzt.

Ohne diesen ideologischen Unterbau wäre eines der größten Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts jedenfalls nicht möglich gewesen. Und dieses Verbrechen lässt sich auch von den Ideen, die dazu geführt haben nicht trennen. Ich gehe davon aus, dass uns so manche, vor allem diese Diktatur erspart geblieben wäre, wenn erstens, nicht solche Ideen zur damaligen Zeit kursiert wären und zweitens der Diktator in spe in seinem Wunschberuf Anerkennung gefunden hätte statt sich als Opfer seiner Zeit und Umstände zu sehen. Ansonsten hätte er vielleicht noch Karriere in der Münchner Unterwelt gemacht.


Sicherlich ist es nicht nur die Ideologie, die einen Menschen dazu führt, für sie zu töten, aber sie ist ein ungemein starker Motor, ein Verstärker, sie ist die große Rechtfertigung, das Recht, weil sie für den Ideologen die Wahrheit darstellt. Während der Kriminelle sich in der Regel darüber im Klaren ist, dass er eine Strafttat begeht, so handelt der Ideologe aus Überzeugung. Er streitet und kämpft für die Idee seiner Gruppe, weil sich die Gruppe im Recht sieht. Das war bei Breivik nicht anders. Er war überzeugt davon, das Abendland vor der drohenden Islamisierung zu beschützen, untermauert von ideologisierten Kreuzzugsphantasien. Und sicherlich auch einem gewissen Grad an pathologischer Enthemmung, um überhaupt in der Lage zu sein, Menschen töten zu können. Aber genau das ist  der springende Punkt. Während die Unzufriedenheit über die eigene Situation einen noch lange nicht zum Mörder macht, eine Ideologie und auch eine Idee sind dazu in der Lage, diejenigen, die am Scheidepunkt zum Intergrationsbambi stehen, zu solchen Taten fähig werden zu lassen. Wo die Verzweiflung noch die Hemmschwelle kennt und das Gewissen, löst die Ideologie diese auf. Und an dieser Stelle treten die geistigen Führer, die Hetzer auf den Plan. Denn ist der Mensch erst überzeugt und also enthemmt, ist er die effektivste Waffe, die man sich vorstellen kann. Ohne eine überzeugende Idee wird der Mensch nicht zum Terroristen, entführt er keine Landshut und löscht nicht missionarisch indigene Völker aus oder lässt brillante Geister im Feuer eines Scheiterhaufens oder im Kugelhagel einer AK47 verglühen.

Es mag so manchem Religions- und Ideologievertreter nicht schmecken, aber nochmal: weder die Verbrechen des Dritten Reiches, das durch und durch religiös war, noch die des Kommunismus, jener politischen Religion mit Führerfigur und Inquisition, noch die jüngsten Verbrechen der 9/11-Attentäter oder die Katastrophe von Utoya und jetzt die Attentate auf Charlie Hebdo wären ohne zutiefst religiöse und ideologische Überzeugungen und der Idee, diese mit dem Blut zu verteidigen nicht möglich gewesen. Es handelte sich nicht um verirrte Einzeltäter sondern um Menschen, die eine Idee verteidigen, rächen und / oder obsiegen lassen wollten. Selbst diejenigen, die heute an der Seite der Wahabiten antisemitische Parolen ausrufen, tun das, weil sie von ihren Ideen überzeugt sind, weil sie fest daran glauben, dass ihre Sicht von der Welt zu einem besseren Zusammenleben führt, wenn es doch nur alle endlich begreifen würden. Das ist die Gefahr. Die Idee an sich ist ja nicht zu verurteilen. Es gibt Menschen mit großartigen Ideen, die sich für das Leben der anderen selbst speziesübergreifend einsetzen, mit Ideen, die von Freiheit und Gleichheit für jeden sprechen und das vielleicht sogar irgendwann für alle mitfühlenden Lebewesen. Aber es gibt Ideen, die ausgrenzen und Strafen, und wenn sie das müssen, weil sie sonst keinen Bestand mehr haben, dann werden sie zu jenen Ideologien, die großen Schaden anrichten.

Solange man also nicht bereit ist, sich von bestimmten Ideen zu trennen, von Ideen, die mit unserer heutigen Gesellschaftsordnung nichts mehr zu tun haben, zu akzeptieren, dass diese Ideen von Menschen erdacht wurden, was glaube ich mittlerweile, mal Hand auf's Herz, jeder weiß, solange können solche Ideen zu Ideologien werden. Und wenn es dann wieder knallt, soll keiner behaupten, das hatte mit der Idee nichts zu tun.

Ach und noch was. Bevor jetzt wieder alle auf die Straße rennen und für ihre besondere Meinung besonders viel Freiheit fordern, wie wäre es, wenn sie sich zusammen tun und für jemanden einsetzen, der gerade wegen seiner Meinung zu 1000 Peitschenhieben verurteilt wurde, was er wahrscheinlich nicht überleben wird.


oder erlaubt die Meinungsfreiheit keine Kritik an Saudi Arabien?

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